02/07/2024 0 Kommentare
Festpredigt zur 750-Jahr-Feier von Staaken
Festpredigt zur 750-Jahr-Feier von Staaken
# Spirituelles

Festpredigt zur 750-Jahr-Feier von Staaken
Liebe Festgemeinde,
Staaken – was ist Staaken?
Laut Duden ist Staken ein schwaches Verb. Dort allerdings nur mit einem a geschrieben: „Ein Boot oder ähnliches durch Abstoßen und weiteres Stemmen mit einer langen Stange gegen den Grund oder das Ufer vorwärtsbewegen.“
Staken - eine Bewegung aus der Schifffahrt, aber nicht nur. Wer irgendwohin stakt oder stakst, der ist ungelenk auf den Beinen, wankt stocksteif vor sich hin.
Staken gilt also als eine plumpe Fortbewegungsart – zu Unrecht: Haben Sie mal in Venedig einen Gondoliere beim Staken zugesehen? Höchst elegant ist das. Der schwebt über das Wasser. Weniger venezianisch sondern vielleicht eher wie im Spreewald muss es hier in grauer Vorzeit ausgesehen haben als Urstromtal und Havelländer Luch noch gut gefüllt waren. Eine frühe Siedlung an diesem Ort war wohl nur auf dem Wasserweg erreichbar, mit einem Kahn oder Floß. Da konnte man nur hin „staken“. Daher der Name: To den staken – Ort der großen Stecken oder Knüppel“ Wussten Sie eigentlich, das Staaken bereits in der Bibel auftaucht? Staaken ist ja mitteldeutsch für Stecken oder Stock. Im 23. Psalm heißt es: „Dein Stecken und Stab trösten mich“. Zugegeben im Psalm ist von einem Hirtenstab die Rede, der böse Tiere abwehrt und so die Herde schützt und nicht vom Stecken des Flößers.
Staaken – was ist Staaken?
Staaken ist ein Geschenk, von genau 750 Jahren, also am 26. März 1273 übereignet Bischof Heinrich I von Brandenburg dem Nonnenkloster zu Spandow 8 Hufen Land in Staaken. Die Schenkungsurkunde ist das erste Zeugnis des Namens „Villa Stakene“. Staaken findet damit Eingang in die Geschichtsbücher. Aber das wussten Sie natürlich, das feiern wir schließlich heute, und ich trage hier Eulen nach Athen, oder besser Stecken nach Staaken. Und Sie wissen bestimmt auch, dass Staaken seit 1295 zu Spandau gehörte. Wieder so eine Geschenkaktion. Am 13.September jenes Jahres bekommt die Stadt Spandow von Markgraf Otto das Dorf Staaken, einfach so. Bitteschön! Dankeschön!
Bis auf einen Brand um 1433 und den Umbau der Dorfkirche im gotischen Stil einige Jahre später scheint das Mittelalter in Staaken relativ unspektakulär verlaufen zu sein. Auch die Einführung der Reformation 1540 hat die Staakener offenbar nicht wirklich aus der Fassung gebracht. Die einschneidendste Veränderung, die der evangelische Glaube hier mit sich brachte, war die Abschaffung des Freibiers am Palmsonntag. Martin Luther war in Staaken jedenfalls nie. Deshalb ist der Satz: „Ich stake hier und kann nicht anders“ auch eines der vielen erfundenen Luther-Zitate. Verbürgt ist allerdings, dass die Staakener eine entscheidende Rolle im sogenannten Knüppelkrieg von 1567 gespielt haben. Sogar Theodor Fontane berichtet von dieser vom brandenburgischen Kurfürsten Joachim II Hektor inszenierten Schlacht, in der Berliner und Spandauer zur Volksbelustigung drei Tage ohne scharfe Waffen, sondern mit Knüppeln zu Wasser und zu Lande aufeinander eindroschen. Obwohl abgesprochen war, dass die Berliner gewinnen sollten, packte die Spandauer ein solcher Ehrgeiz, dass sie die Staakener (sie wissen ja: „Ort der großen Knüppel“) zur Verstärkung riefen und die Berliner in einen Hinterhalt locken konnten. So bekamen die Berliner von den Spandauern erfolgreich auf den Deckel, der Kurfürst schäumte und manch hiesigen Lokalpatrioten erfüllt es bis heute mit klammheimlicher Freude. Auch an diesem Tag, liebe Gemeinde, können Sie gepflegt jemandem eine kleben. Aber bitte nur mit den Postwertzeichen in der Spezialedition. Nachher im Sonderpostamt erhältlich und der Beweis für etwas was wir schon immer geahnt hatten: „Staaken, du bist echt ´ne Marke.“
Staaken – was ist Staaken?
Staaken – das ist auch Glanz, Glamour und Hollywood.
In den Filmwerken Staaken entsteht 1927 der bahnbrechende Monumentalfilm Metropolis von Fritz Lang, am 22. Juli 1936 landet Flugpionier Charles Lindbergh auf dem Flugplatz Staaken. 1965 erblickt in Staaken eine spätere Eisprinzessin das Licht der Welt: Katarina Witt. Ihre ersten staksigen Schritte auf dem Eis macht die kleine Kati dann allerdings in Chemnitz und nicht in Staaken. Und 2009 kommt Hollywood nach Staaken. Im Fort Hahneberg entstehen Szenen des oscarprämierten Quentin Tarantino-Films: Inglorious Basterds.
Staaken – was ist Staaken?
Staaken - das ist auch die Geschichte deutsch-deutscher Teilung. Das geteilte Dorf in der geteilten Stadt im geteilten Land. Ein alliierter Gebietstausch und West-Staaken liegt plötzlich im Osten. Das muss man erstmal verstehen. Genauso wie Schlagbäume und Stacheldraht, die Trennung von Familienmitgliedern und Freunden, die zwei Welten nebeneinander – so nah und so weit entfernt zugleich. Hinter dem Kirchhof verläuft ab1961 die Mauer, nicht weit vom Turm dieser Dorfkirche ragt der Grenzturm auf – irgendwie sinnbildlich. Der eine Turm steht für ein System der Überwachung und Einschüchterung, die Glocken des anderen rufen an einen Ort der Freiheit. Und dann ist sie da die Freiheit, nach über 50 Jahren. Am 9. November 1989 will die Schlange der hupenden Trabis am Grenzübergang Heerstraße gar nicht enden, von Westberlinern begeistert empfangen. „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen!“ Dieses Hoffnungswort aus dem 18. Psalm ist damals in Erfüllung gegangen, wir haben es eben gesungen. Seit 1990 gehört Staaken wieder zu Spandau, wieder zu Berlin. Gott sei Dank! 2002 entsteht nach einem Entwurf des italienischen Künstlers Gabriele Mucchi diese großformatige Wandmalerei „Versöhnte Einheit“. Unter den geöffneten Armen des Christus am Kreuz eine Versammlung scheinbarer Gegensätze: evangelische Reformatoren und Vertreter der katholischen Gegenreformation, Glaube und Wissenschaft – darunter Luther, Ignatius von Loyola und Kopernikus, im Hintergrund die ehemalige Staakener Grenze am Hahneberg. Ein Plädoyer, an die Überwindung von Trennendem und an die Kraft der Versöhnung zu glauben, zu arbeiten, zu beten – ob zwischen Konfessionen und Religionen, zwischen Kulturen und Nationen, in Familien, in unserer Gesellschaft, in Europa. Es hat schließlich schon einmal geklappt – hier an diesem Ort: „Mit meinem Gott, kann ich über Mauern springen.“
Staaken – was ist Staaken?
Staaken – das ist Vielfalt. Geschichte und Gegenwart, Alteingesessene und Zugezogene, Dorfidylle und Großstadtfeeling, Beton und Blumen, Gartenstadt und Neu-Jerusalem, Heerstraße-Nord und Hahneberg, Fledermäuse und Florida-Eis, Kirchengemeinden und Gemeinwesen. Tiefster Westen Berlins, manchmal auch wilder Westen, auf jeden Fall bunt. Staaken – das sind vorallem die Menschen, die hier leben, arbeiten und sich engagieren. Sie alle – das ist ihr Jubiläum heute. Gratulation zu 750 Jahren und länger. Gottes Segen für die nächsten 750 Jahre, liebe Staakenerinnen und Staakener!
Staaken – was ist Staaken?
„Ein Boot oder ähnliches durch Abstoßen und weiteres Stemmen mit einer langen Stange gegen den Grund oder das Ufer vorwärtsbewegen“ sagt der Duden. Staken – eine Bewegung aus der Schifffahrt. Ich finde ja, es ist auch die Bewegung des Glaubens. Auf dem Boot, wie im Leben – darum geht’s: Einen Grund finden, vielleicht nicht immer ganz klar vor Augen, manchmal muss ich danach stochern. Aber wenn ich ihn habe, in Berührung komme mit diesem Grund des Lebens, setzt er mich in Bewegung, dann bekomme ich von ihm Kraft und Schwung und ich weiß mich getragen im Fluss der Zeiten. Ja manchmal kann es sogar sein, dass ich schwebe, so elegant wie ein Gondoliere in Venedig.
Amen.
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